Das deutsche Tarifsystem ist unter Druck geraten, da die Abdeckung von Tarifverträgen auf Branchenebene gesunken ist. Die IAB-Zahlen zeigen, dass der Anteil aller Arbeitnehmer in Westdeutschland, die von Branchenvereinbarungen betroffen sind, von 70 % im Jahr 1996 auf 49 % im Jahr 2018 gesunken ist. Betrachtet man nur den privaten Sektor, so sank der Prozentsatz von 66 % auf 44 %. In Ostdeutschland ist die Situation im gleichen Zeitraum erheblich schlechter, von 56 % auf 35 % für alle Beschäftigten und von 48 % auf 28 % für die Beschäftigten im privaten Sektor. [6] Es ist bezeichnend, dass die Betriebsräte größere Mitbestimmungsrechte erhalten haben und Verhandlungen über die Regelung des Einsatzes von Leiharbeitnehmern durch einen Betriebsvertrag fordern können. Die Themen für eine solche Vereinbarung können vom Zweck und dem Einsatzgebiet, dem Umfang der Leiharbeit bis hin zur unbefristeten Beschäftigung dieser Arbeitnehmer reichen. Der Tarifvertrag gilt nur für Arbeitnehmer, die als Leiharbeitnehmer bei einem Kunden arbeiten. Selbständige oder Arbeitnehmer, die auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags arbeiten, sind nicht erfasst. Die Art der (gewerblichen oder industriellen) Tätigkeit des Zeitarbeitnehmers ist unerheblich. Das bedeutet, dass ein Büroangestellter, der in einem Industrieunternehmen arbeitet, auch Anspruch auf Industriezuschläge hat. Öffnungsklauseln, die es dem Betriebsrat ermöglichen, Regelungen auszuhandeln, die weniger günstig sind als die in der Vereinbarung auf Branchenebene vorgesehene, um den besonderen Umständen ihres Arbeitgebers Rechnung zu tragen, werden als wichtiges Weg angesehen, um dem System Flexibilität zu bieten.
Ein bekanntes Beispiel war der 2004 von der IG Metall unterzeichnete Pforzheimer Vertrag, der später in einen allgemeineren Tarifvertrag zur Arbeitsplatzsicherheit integriert wurde. Dies ermöglicht es dem Betriebsrat, Arbeitszeitverkürzungen und befristete Löhne zu vereinbaren, um Entlassungen zu vermeiden. 5Was ist das “deutsche” Produktionsmodell? Die Forschungsliteratur bezieht sich auf diesen Begriff in einer Vielzahl von verschiedenen Kontexten und mit einer Reihe von Bedeutungen. Auf institutioneller Ebene zeigt das “deutsche Modell” eine spezifische Konstellation von Institutionen der Tarifverhandlungen (Industriegewerkschaften, Tarifverhandlungen auf Branchenebene), Corporate Governance (Mitbestimmung, Cross-Ownership zwischen Unternehmen und Banken), Koordination durch zwischengeschaltete Organisationen (Wirtschaftsverbände) und Sozialpolitik (Streeck, 2009). Auf der Ebene von Industrie und Unternehmen werden produktive Modelle im Sinne einer kohärenten Kombination aus Produktpolitik, Organisation der Wertschöpfungskette und Arbeitsbeziehungen diskutiert (Boyer & Freyssenet, 2002). Die Automobilindustrie wird oft als Vorlage für ein deutsches Produktionsmodell betrachtet, obwohl diese Verallgemeinerung nicht ganz angemessen ist, da branchenspezifische Produktionsmodelle in Deutschland besonders vielfältig sind (Jürgens, 2004; Lüthje et al., 2002).